Grundrechte und demokratische Grundregeln müssen gewahrt bleiben – Kritik an den Corona-Maßnahmen, die die Grundrechte einschränken, ist berechtigt und notwendig, aber das Feld nicht den rechten Ideologen und Verschwörungstheoretikern überlassen

Grundrechte und demokratische Grundregeln müssen auch in Corona-Zeiten gewahrt bleiben!

Ein paar Bemerkungen von mir persönlich vorweg, damit hier keine Missverständnisse entstehen! Ich möchte nur klarstellen: Es geht hier in dem Artikel (Pandemie versus Demokratie) des Komitees für Grundrechte und Demokratie eben nicht um Verschwörungstheorien und Unterstützung rechter Ideologien oder Verbreitung von Antisemitismus, es geht um Grundrechte und demokratische Grundregeln. (Macht euch selbst ein Bild, indem ihr die nachfolgenden Zitate aus den Artikeln durchlest.) Auch wenn in den Nachrichten (z.B. in der Tagesschau vom 11.5.2020) und vielen Medien behauptet wird, es seien nur Verschwörungstheoretiker und rechte Ideologen unterwegs, geht es hier in diesen Artikeln nicht um Verschwörungstheorien o.ä. (Im Gegenteil: Die Artikel distanzieren sich eindeutig davon!), sondern um einige thematische Aspekte bezüglich der Grundrechte und der Aushebelung dieser durch Maßnahmen, die mit Corona begründet, aber leider nicht (aus meiner Sicht!) damit begründet werden können. Der folgende Artikel und Kommentar sowie weitere Hinweise sollen euch darüber ein paar Informationen bieten, die – wie ich finde – Anlass dazu sind, besorgt über die gegenwärtige Entwicklung zu sein. Das Komitee für Grundrechte und Demokratie (Website: www.grundrechtekomitee.de) ist seit Jahren dafür bekannt, kritischer Beobachter und Begleiter von gesellschaftlichen Entwicklungen zu sein, die Besorgnis erregen können und sollten. Diese Organisation gilt als seriös und wird von namhaften Wissenschaftlern, Juristen usw. unterstützt und gesponsert.

Ein paar längere Zitate aus dem Artikel des Komitees für Grundrechte und Demokratie „Pandemie versus Demokratie“ (in: Informationen Grundrechte Komitee; #02-Mai 2020, Seite 1 – 2) mit einer gesellschaftlichen Einordnung der Pandemie und der Einschätzung der damit verbundenen massiven Freiheitseinschränkungen:

„In Zeiten des Notstandes verschärfen sich gesellschaftliche Ausgrenzungen. Es ist daher notwendig, auf all jene aufmerksam zu machen, die in den Notstandsprogrammen keine Berücksichtigung finden…“

Die Redaktion des Grundrechtekomitees legt in diesem Zusammenhang besonderen Wert darauf, die soziale Frage aufzuwerfen und die besonders betroffenen Personengruppen hier zu erwähnen:

„Die Corona-Krise trifft auch hierzulande nicht alle gleich, sie hat eine klassenspezifische Dimension. Gesundheit, Krankheit und Tod sind soziale Fragen. Haushalte mit geringem Einkommen, Familien unter beengten Wohnverhältnissen, prekär Beschäftigte sowie Kleinselbständige werden in ihrer materiellen Existenz schwer getroffen. …“

„Die Ungleichheits- und Abhängigkeitsbedingungen dieser Gruppen, die die parteiübergreifend neoliberal betriebene Politik der letzten Jahrzehnte produziert hat, werden sich in der sich abzeichnenden Wirtschaftskrise voraussichtlich weiter vertiefen.“

In den folgenden Zitaten werden auch die Dimensionen der Einschränkungen noch einmal verdeutlicht, vor allem wird darauf hingewiesen, dass der Staat nicht Grundrechte gewährt, sondern dass er den Schutz der Grundrechte gewährleisten muss:

In Krisenzeiten schlug schon immer die „Stunde der Exekutive“. Der Notstand wurde offiziell nicht ausgerufen, gleichwohl leben wir derzeit im Ausnahmezustand. Bund, Länder, Kommunen und Gesundheitsbehörden haben Maßnahmen erlassen, die tief in die Grundrechte eingreifen. …“

„Massive Freiheitseinschränkungen werden uns noch lange Zeit begleiten, wie auch die ständige Bedrohung eines erneuten Anstiegs der Infektionszahlen.
Vor allem außerhalb der fast oppositionslosen Parlamente wird breit darüber diskutiert, ob die Maßnahmen noch verhältnismäßig zur Bekämpfung der Epidemie sind. Es wäre wohl anmaßend, dies pauschal zu verneinen. Gleichwohl wird die politische Machtordnung der Gesellschaft massiv verschoben. Außerparlamentarische Proteste, die ein Korrektiv sein könnten, sind nahezu verunmöglicht. Da, wo kleine Proteste unter Beachtung der vorgeschriebenen hygienischen Anordnungen stattfanden, wurden diese aufgelöst und einzelne Teilnehmende sanktioniert. Dadurch wird mitnichten die Bevölkerung geschützt, sondern allein die untertänige Befolgung der Anordnungen durchgesetzt. Daher ist es aus demokratischer Perspektive unerlässlich, dass Mittel und Zweck dauernd auf Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit überprüft werden. Der Staat gewährt nicht Grundrechte, sondern hat ihren Schutz zu gewährleisten, darum hat er Einschränkungen penibel zu rechtfertigen.“ 

In diesem Zusammenhang wird aber auch vor der fahrlässigen Verharmlosung der Pandemie gewarnt, die von Verschwörungstheorien genährt wird und sogar einen „demokratischen Widerstand“ gegen eine „Coronaverschwörung“ propagiert. 

„Wie schmal aber die Gratwanderung in der Bewertung ist,  zeigt sich an einer zunehmend fahrlässigen Verharmlosung der Pandemie, die sich von Verschwörungstheorien nährt und gar im öffentlichen Raum einen „demokratischen Widerstand“ gegen eine „Coronaverschwörung“ propagiert – natürlich ohne dabei Schutzmaßnahmen gegen eine Virusübertragung vorzusehen.“

Wichtig am Ende des Artikels ist vor allem der Hinweis auf die Notwendigkeit einer menschenwürdigen Gesundheitsversorgung, die eben nicht durch die seit Jahren laufende Privatisierung und Profitlogik im Gesundheitssystem zu erreichen ist:

„Seit Jahren gibt es Proteste gegen Kürzungen und Lohndumping im Gesundheitswesen, auch in Deutschland. Hat es erst eine globale Pandemie gebraucht zu erkennen, dass eine menschenwürdige Gesundheitsversorgung nicht durch Privatisierung, Patentierung und Profitlogik erreichbar ist? Allerdings auch nicht mit der Stilisierung der Werktätigen im Gesundheitssektor zu Held*innen, sondern allein durch weitreichende systemische Veränderungen im globalen Maßstab. …“

Und dann noch ein paar Zitate aus einer rechtliche Bewertung und Einordnung der Vorgänge und Maßnahmen von Tom Jennissen (RA in Berlin) in der selben Ausgabe Informationen des Grundrechtekomitees (#2/Mai2020; Seite 4) mit dem Titel „Eine Generalklausel als Notstandsverfassung“:

„Not kennt kein Gebot… und entscheidend ist, was hinten raus kommt. So lauteten wohl die zentralen Maximen, als sich vor wenigen Wochen in der Bundesrepublik die Erkenntnis Bahn brach, dass der weltweiten Pandemie nicht allein mit dem Nachverfolgen von Infektionsketten beizukommen sein würde und die zuständigen Behörden erkannten, dass ihre Stunde nun gekommen war.
Innerhalb weniger Tage wurden angesichts der unkontrollierten Ausbreitung des Virus und eines befürchteten Zusammenbruchs des Gesundheitssystems zunächst per Allgemeinverfügungen, dann im Verordnungswege mit Strafandrohungen nahezu sämtliche gesellschaftlichen Beziehungen in einem Maße eingeschränkt, das bis dato undenkbar war: …“

Dass die massiven Grundrechtseingriffe wirklich alle zurückgenommen werden, wird wohl nur gelingen, wenn eine wachsame und kritische Öffentlichkeit (unterstützt von Wissenschaftlern, Publizisten, Presse und Juristen) dies einfordert und auch kontrolliert: 

„Dass die massiven Grundrechtseingriffe vollständig zurückgenommen werden und nicht doch die schrittweise Rückkehr zur vermeintlichen Normalität überdauern, wird nicht zuletzt Aufgabe einer wachsamen Öffentlichkeit sein. Eine gesetzliche Änderung, die jedenfalls bleiben wird, ist die in aller Eile Ende März verabschiedete Änderung des Infektionsschutzgesetzes (IfSG). Neben der Einführung weitreichender und zweifelhafter Notkompetenzen im Gesundheitswesen und bezüglich Reisebeschränkungen wurde versteckt und völlig unzureichend die zentrale Norm geändert, auf die sich derzeit die ganz überwiegende Anzahl der Maßnahmen stützt. Dabei wirft nicht nur das mangelhafte Gesetzgebungsverfahren ein beunruhigendes Licht auf die rechtsstaatlichen Grundlagen der Maßnahmen.“

Interessant ist hier die rechtliche Bewertung der aktuellen Anordnungen, die eben ohne jeden Vorbehalt und unabhängig vom Infektionsstatus alle treffen:

…“Die aktuellen Anordnungen aber treffen ohne jeden Vorbehalt die gesamte Bevölkerung unabhängig vom Infektionsstatus und von der Frage, ob von den einzelnen Menschen tatsächlich eine Gefahr für andere ausgeht. In der Annahme, dass jeder Mensch eine Gefahr für alle anderen darstellt, führt dies zur massiven Einschränkung so ziemlich aller bürgerlicher Freiheiten. Eine ausdrückliche gesetzliche Ermächtigungsgrundlage erschien den Behörden dabei nicht nötig, da ihrer Ansicht nach bei Erlass des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten und trotz der jahrelangen Warnungen, eine Pandemie nicht vorhersehbar gewesen sei und sich die nunmehr gebotenen Maßnahmen deshalb auf eine Generalklausel in § 28 Abs. 1 IfSG stützen könnten. Derartige Generalklauseln sind wesentlicher Bestandteil des Gefahrenabwehrrechts und sollen den Behörden insbesondere in unvorhersehbaren Situationen erlauben, die für die Abwehr konkreter Gefahren notwendigen Maßnahmen zu ergreifen. Eine generelle Ermächtigungsgrundlage, die Behörden alles erlaubt, was sie für notwendig erachten, stellen sie dagegen nicht dar! „

Und hier zum Abschluss die Bewertung dieser schwerwiegenden Grundrechtseingriffe, die bisher keine ausdrückliche und nachvollziehbare gesetzliche Grundlage haben; außerdem wird in Bund und Ländern quasi per Verordnung regiert, die hier als eine Art von Notstandsverordnung dient. Nach Auffassung von Tom Jennissen ist die als gefährlicher Präzedenzfall einzustufen, dessen Wiederholung unbedingt zu verhindern ist, genauso wie die Rücknahme der Maßnahmen ein Gebot einer demokratischen Gesellschaft darstellt:

„…Insbesondere für schwerwiegende Grundrechtseingriffe bedarf es einer ausdrücklichen und nachvollziehbaren gesetzlichen Grundlage. Doch die fehlende Ermächtigungsgrundlage ficht bislang weder die Exekutive noch die zu ihrer Kontrolle berufene Judikative an. Obwohl spätestens mit der Änderung des IfSG die Möglichkeit bestanden hätte, den zuständigen Behörden klare gesetzliche Maßstäbe an die Hand zu geben, wurde lediglich eine „Anpassung zum Zweck der Normenklarheit“ in der Generalklausel vorgenommen. Doch die Schaffung einer nachvollziehbaren und verbindlichen gesetzliche Grundlage war wohl auch gar nicht das Ziel der Regierung. Vielmehr versucht sie ihre Rechtsauffassung abzusichern, dass der Exekutive alles erlaubt sein muss, was Erfolg im Kampf gegen das Virus verspricht. Dass gefahrenabwehrrechtliche Generalklauseln bisweilen deutlich überstrapaziert werden, ist nicht neu. Dass sie aber faktisch als eine Art Notstandsverfassung dienen, auf deren Grundlage die Regierungen in Bund und Ländern per Verordnung regieren, ist ein gefährlicher Präzedenzfall, dessen Wiederholung zu verhindern ein ebenso großes Gebot für eine demokratische Gesellschaft darstellt, wie die Rücknahme der Maßnahmen selbst.“

Ein Nachtrag von mir:

Wir dürfen in der Frage der Kritik an den Corona-Maßnahmen, die die Grundrechte einschränken, gerade eben nicht den rechten Ideologen das Feld überlassen, damit würden wir unsere eigenen so wichtigen Grundprinzipien in die Hände derer geben, die sie – wenn sie mehr Macht hätten – sehr schnell außer Kraft setzen würden! Die meinen mit ihren Aktionen nämlich nicht den Schutz der Grundrechte (die sind ihnen ziemlich egal, sie nutzen diese Argumente nur für ihre Kampagnen!), sondern versuchen eher, diese für ihr teilweise verloren gegangenes Potential an Wählerstimmen (leider immer noch zu viel!) und ihren Einfluss auf Entscheidungsprozesse zu nutzen.

im Mai 2020,

Harm Paul Schorpp

 

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