Am Montag haben sich die Vertreter*innen des Europaparlaments, der EU-Mitgliedsländer und der EU-Kommission auf eine Reform des EU-Zulassungsverfahrens für Pestizide, gentechnisch-veränderte Organismen und Futtermittelzusatzstoffe geeinigt. Mein Grüner Kollege Martin Häusling war als Schattenberichterstatter des Parlaments direkt beteiligt. Nachdem mehr als 1 Million Menschen in ganz Europa die EU-Bürgerinitiative “Stopp Glyphosat” unterzeichnet hatten, hat die EU-Kommission hatte einen Reformentwurf vorgelegt, der jetzt mit Änderungen des Rats und des Parlaments beschlossen wurde. Die nächtliche Einigung ist damit auch ein großer Erfolg für die Europäische Zivilgesellschaft und uns Grünen. Sie zeigt wie so oft, dass Druck der Bürgerinnen und Bürger auch in Europa wirkt.
Kernstück des nächtlichen Kompromisses ist die verpflichtende Registrierung aller Studien bei der zuständigen EU-Aufsichtsbehörde EFSA, die für eine Zulassung verwendet werden sollen. Ohne vorherige Registrierung, keine Verwendung im Zulassungsantrag. Zudem muss jede registrierte Studie eingereicht werden. So können Hersteller Studien mit unliebsamen Ergebnissen nicht wie bisher in der Schublade verschwinden lassen.
Die Ergebnisse der Studien werden dann für alle frei und leicht zugänglich veröffentlicht, wenn die EFSA den Zulassungsantrag zur Prüfung angenommen hat, das heißt ganz zu Beginn des Prüfprozesses. Somit können unabhängige Wissenschaftler*innen, aber auch Bürger*innen die Studien einsehen und prüfen, bevor die EFSA entscheidet. Auch die Protokolle der entscheidenden EFSA-Gremien sollen künftig proaktiv veröffentlicht werden. Das sind riesen Schritte für mehr Transparenz und ein besseres Zulassungsverfahren. Gerade dagegen hatten sich die Konservativen im Europaparlament gestellt und hat die verantwortliche Abgeordnete der EPP Frau Sommer (CDU NRW) zum Rücktritt bewegt. Auch über die Mitgliedsländern konnten die Konservativen zum Glück die Transparenz nicht verhindern.
Allerdings können die Hersteller die Geheimhaltung von Teilen der Studien mit der Begründung des Schutzes ihrer Geschäftsgeheimnisse beantragen. Aber die Verhandlungsführer des Parlamentes konnten durchsetzten, dass die Liste der Gründe beschränkt ist und diese immer dann nicht gelten, wenn die geheimzuhaltenden Daten sicherheitsrelevant für Mensch, Tier oder Umwelt sind. Das Parlament hatte sich für eine noch weitergehende Formulierung ausgesprochen, aber dieser Kompromiss ist gut und geht über den Vorschlag der Kommission hinaus.
Einige Forderungen des Parlaments konnten wir hingegen nicht gegen die Mitgliedstaaten durchsetzt: Zwar kann die EFSA jetzt zusätzliche Studien bei Unstimmigkeiten beauftragen, aber die Kosten dafür muss sie selbst tragen, und nicht wie wir gefordert hatten die Industrie durch einen Fonds. Auch weitergehende Forderungen des Parlaments wie die Einbeziehung der Auswirkungen von Cocktail-Effekten (hier hat eine Kombination von Stoffen selbst bei niedrigen Einzelkonzentrationen eine schädliche Wirkung, weil die Einzelwirkungen sich addieren). Auch Transparenz für den Ständigen Ausschuss von Mitgliedsländern und Kommission, der z.B. die Glyphosat-Verlängerung durchgewunken hat und im Geheimen tagt, konnten wir gegen die Mitgliedsländer nicht durchsetzen. Hier werden wir gemeinsam mit einer starken europäischen Zivilgesellschaft weitermachen. Trotzdem ist die Einigung ein großer Fortschritt.
Nun muss der Rat der Mitgliedsländer und das Parlament dem Kompromiss endgültig zustimmen, was jedoch sehr wahrscheinlich ist. Wenn das passiert ist, wird der entscheidende Test die Umsetzung und die Kontrolle der Transparenzregeln sein. Die Mitgliedsländer haben verhindert, dass die Kontrollen direkt von der Kommission durchgeführt werden. Hier ist aber noch vieles offen, da für die Durchführung der Kontrollen die Kommission noch einen zusätzlichen Gesetzesentwurf vorlegen wird. Hier werden wir dranbleiben, damit diese Reform kein zahnloser Tiger wird.
Der erzielte Kompromiss, der viele Grüne Forderungen aus dem Europaparlament enthält, ist ein Meilenstein in der Reform eines Bereich der EU, der für jede und jeden tagtäglich sichtbar ist und der viele Menschen beschäftigt. Ein transparentes Zulassungsverfahren wird das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die EU stärken und kann letztendlich dazu führen, dass durch eine bessere Risikobewertung der Schutz von Menschen und Umwelt in den Vordergrund rückt. Nach dem großen Erfolg für mehr Lobbytransparenz und einen legislativen Fußabdruck ist die Entscheidung für mehr Transparenz für die Zulassung für Pestizide und Co. ein weiterer großer Gewinn für die Bürgerinnen und Bürger in Europa. Die EU wird damit in einem zweiten Bereich weltweit Vorreiter in Sachen Transparenz und Öffentlichkeit, dank einer starken europäischen Zivilgesellschaft, die nicht eine Sekunde locker gelassen hat.
In diesem Sinne vielen Dank und europäische Grüße
Sven Giegold